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ISIS

Vorwort

Ich begann mit meinen Studien über die zeitgeschichtlichen Entwicklungen des Iraks schon Jahre vor dem Fall der Stadt Mossul am 6. Juni 2014 und der Eroberung wichtiger Teile Syriens und Iraks durch den Islamischen Staat (ISIS). In meiner Forschung beschäftigte ich mich mit der Geografie des Iraks und mit den dort lebenden Nomadenstämmen, was eine gute Gelegenheit war, eifrig Kenntnisse über die gesellschaftlichen und kulturellen Angelegenheiten der iranischen Nachbarn zu ergattern.

 

Schon kurz vor dem Fall der Stadt Mossul wurde eine besonders realitätsnahe Entwicklung in Form einer Wiederbelebung dessen, was man ein islamisches Kalifat oder Emirat nannte, erwartet. Bei vielzähligen Gesprächen mit den unterschiedlichsten Personen aus dem irakischen Volk zeichnete sich eines deutlich ab, die Sehnsucht nach einer prachtvollen geschichtlichen Vergangenheit und das Bedauern um die unerfüllten Wünsche einer Nation, deren Geschichte glänzende Hochzeiten aufwies. Für die Iraker, egal ob Kurden, Schiiten, Sunniten oder Christen symbolisierten die letzten hundert Jahre seit dem Beginn des ersten Weltkrieges die Zeit ihres Unglücks und Elends. Sie waren Zeuge, als ihr Land besetzt und ihre Identität von der großbritischen Kolonialmacht mit Füssen getreten wurde. Ihr Stolz und ihre nationale Identität war herabgewürdigt, welches sich auch auf die Psyche der nächsten Generation des Landes übertrug. Aus ihrer Sicht war ihre historische Machtposisition Vergangenheit und ihr Traum an eine Wiederkehr schien durch die ständige Präsenz und Intervinierung der Großmächte, politisch wie militärisch, wie eine Seifenblase zu zerplatzen. Es blieben leider von diesem altertümlichen Erbe nur einige Antiquitäten übrig, welche jedoch immer noch an eine glänzende Vergangenheit erinnern. Auch das Wissensniveau des Volkes war gesunken und ihre kulturellen Werte verblasst. Diese Missstände erzeugte die unausgewogene Bildungspolitik der vergangenen irakischen Regierungen. Bagdad war schon seit langem nicht mehr die Hauptstadt aus eintausendundeine Nacht und von allen Schulen, Bibliotheken, Dichtern, Literaten, Künstlern und Handwerker blieben nur noch ihre Namen im historischen und literarischen Gedächtnis des Volkes hängen. Die vielen Seiten des Buches der islamischen Zivilisation und der Kultur des Landes gerieten in Vergessenheit und die mündliche, sogenannte Popkultur, die den neuen Generationen nur minderwertige geschichtliche und identitätsstiftende Kenntnisse vermittelt, ersetzte den Platz der schriftlichen Literatur.

 

Dieser Teil der islamischen Welt wurde zusätzlich zu diesen Umständen auch noch mit einem neuen Phänomen konfrontiert, welches erst im vergangenen Jahrhundert entstanden war, die Bildung eines Staates namens “ Israel“ in Palästina. Durch die vielzähligen Folgen der israelisch- palästinensischen Auseinandersetzung wurde das Denken an die Vergangenheit und die Analyse über die Gründe ihrer Rückständigkeit und ihren kulturellen Verfall in dieser Region unmöglich gemacht.

 

Genauso rasant wie sich die islamische Welt vorallem in Westasien von ihrer zivilisierten und blühenden kulturellen Zeit entfernte und durch das Aufkommen von neuen Ideologien in militärische und politische Konflikte geriet, verblassten auch, durch die vielen Errungenschaften der europäischen Wissenschafts- und Forschungszentren, die noch übrig gebliebenen Erinnerungen an die Rolle, die die Muslime bei der wissenschaftlichen Blütezeit des Abendlandes überhaupt gespielt hatten. Diese Spaltung zeichnete sich schon seit Beginn des 16. Jahrhunderts ab und wurde langsam während des vergangenen Jahrhunderts zu einem breiten und tiefen Graben und einer ständig eiternden Wunde.

 

Diese Umstände und auch der Ost- West Konflikt zwischen Amerika und der Sowjetunion hinderte die Muslime an der Wahrnehmung der Realität. Die kommunistisch- kapitalistische Auseinandersetzung überschattete in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ihre regionalen und auch kulturellen Fragen. Das bipolare Weltsystem jener Zeit, vom zweiten Weltkrieg bis zum Zerfall der Sowjetunion, zeriss die Welt in zwei Teile.

 

Die Länder Westasiens, darunter der Irak und Syrien, befeindeten sich jahrzehntelang diesem Weltmuster nachahmend ohne sich auf ihre eigenen Angelegenheiten zu besinnen. Statt diese blühenden kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen für sich zu nutzen, wurde alles an sinnloses Gerede und politischer Konkurrenz verschwendet, welches nur zu unnötigen Anspannungen in der Region führte.

 

Mit dem Zerfall des sowjetischen Imperiums im Jahre 1991 sah sich die westliche Welt, die die Konfrontation und das bipolare System der Weltmacht bevorzugte, zur Bewahrung ihrer zentralen dominierenden Rolle innerhalb der globalen Konkurrenz, gezwungen eine Alternative zu finden. Die Muslime, fern von ihrem glanzvollen Zeitalter und mit ihren ständigen jahrzehntelangen politischen Spielen, Putschen oder mit ihren in geheimer Zusammenarbeit mit den Großmächten an die Spitze gelangten Herrschern und Präsidenten, schienen nur ein schwacher und müder Feind zu sein. Saddam Hussein, früher mit dem Westen eng verbündet, ließ mit seinem Angriff auf Kuweit den Irak als erstes Land dieser Politik zum Opfer fallen. Ungeachtet der teuren Erfahrung eines achtjährigen erfolglosen Krieges gegen den Iran führte seine Entscheidung im Jahre 1991 zu einer erneuten Niederlage, die sein Volk in ein noch unheilvolleres Schicksal stürzen ließ – die Rückkehr der überregionalen Macht in Westasien.

 

Ein Jahrzehnt später ereignete sich das Desaster des 11. September 2011, welches der Westen für sich nutzte um ein Feindbild zu erschaffen, das er benötigte um seinen Machtübergriff zu legitimieren. Al- Kaida, dessen Ideologie auf der najdischen wahhabitischen Erziehung basiert und unterstützt von pakistanischen Sicherheitsstrukturen zur Dominierung Afghanistans genutzt werden sollte, betrat letztendlich als eine globale Macht die internationale Szene… Mit einer aus der islamischen Welt herausgebildeten Ideologie griffen sie durch die Zerstörung der Zwillingstürme des World Trade Centers in New York die westliche Zivilisation an. Von diesem Datum an kam es zu  einer Kette von Ereignissen, welche alle eines gemeinsam hatten, die Verbreitung von Angst und Schrecken in Form von Terror und Massenmorden an unschuldigen Menschen. Einsätze, die zwar in den Vereinigten Staaten am 11. September begonnen hatten, aber nun auch sehr schnell in verschiedenen zumeist wichtigen Städten Europas ihre Auswirkungen zeigten und damit eine neue Phase einleiteten. Das nun entstandene Angstgefühl, dass sich an jedem öffentlichen Ort etwas ereignen könnte wurde zu einer ernsten Sorge für die Europäer, insbesondere für die junge Generation, die keine Erfahrung oder gar Kenntnisse bezüglich ihrer Geschichte hat.

 

Die Massentötungen während des kalten Krieges erreichten zwar nicht Europa, aber der Begriff Krieg aus jener Zeit hatte in den Köpfen der europäischen Jugend eine weitaus größere zerstörerische Auswirkung hinterlassen, als der erste und zweite Weltkrieg. Als die Al- Kaida ihre Einsätze in Europa durchführte entstand in der europäischen Öffentlichkeit, zum einen gestresst durch die äusserlichen Umstände und beeinflusst von westlichen, besonders amerikanischen Medien, ein ganz bestimmtes Bild über den Islam. Und in der Tat fiel diese neue Generation, welche nur geringe Kenntnisse über den Islam und das Erbe der Orientalisten und Islamwissenschaftlern des neunzehnten Jahrhunderts hatten und die sich hauptsächlich mit den medialen Wahrnehmungen beschäftigen, auf diese herein. Auf den ersten Blick schienen Syrien, der Irak, Ägypten und der Yemen Länder zu sein, in denen man nicht leben, sich nicht mischen und keinen kulturellen Austausch haben konnte. Denn die Nachrichten, die ständig aus diesen Ländern kamen bewirkten die Empfindung bei der jungen Generation, als ob diese Region das „Territorium des Terrors“ wäre, eine Welt, die ganz den Darstellungen von Hollywood entsprach.

 

Worauf geht diese ganze Angstmacherei vor der islamischen Welt und Westasien eigentlich zurück? Weshalb versuchen die westlichen, vorallem die amerikanischen Medien, den korrekten Informationsfluss und den Kontakt der Europäer zu diesen Ländern, zu verhindern? Die heutige fortgeschrittene Technologie, die die Kommunikation durch das Internet global wesentlich erleichtert, ist für sie ein Grund des Unbehagens. Die heutige Kommunikationstechnologie bereitet den Boden für einen besseren Kontakt zwischen den Generationen und für den Dialog zwischen den Gesellschaften. Der individuelle zwischenmenschliche Kontakt, durch den sich die Menschen  näher kommen und in ein Gespräch miteinander treten steht im Widerspruch zu ihrer Konfrontationspolitik, die darauf basiert, durch das Hervorheben eines hypothetischen Feindes, das Machtmonopol und diese neue Weltordnung zu legitimieren. Demzufolge mussten unbedingt diese zwischenmenschlichen und zwischengesellschaftlichen Berührungen blockiert werden.

 

Meiner Meinung nach war der IS eine klare Antwort darauf. Dazu stellte er den Terror abseits der kollektiven und erschreckenden Form der Al- Kaida, nun in einem neuen Gewand vor. Es gab in den globalen Medien keine einstürzenden Hochhäuser oder Bombenexplosionen in Stadtbahnen, bei denen im Nu hunderte von Menschen in den Tod gerissen wurden, um eine kollektive Welle des Mitleids zu erwecken, sondern ein gefesselter Mensch wurde vor laufender Kamera von einem Henker mit Schrecken erregenden Äusserem, welches in den Europäern bittere Erinnerungen an das Mittelalter entstehen ließ, geköpft oder wie ein Tier geschlachtet.

 

Durch den IS und die Ideologie, die ihn steuert wird versucht eines von der Vergangenheit und der Geschichte getrenntes und verbindungsloses Weltbild zu projizieren, bei dem die Vernichtung des Identitätserbes der Stämme und Völker – Zerstörung der Museen und der historisch bedeutenden Orte – als ein geeigneter Weg erschien. Der IS wollte entschlossen die Zeichen und die Identität der Geschichte der vergangenen Generationen löschen, um eine hintergrundlose Welt, erfüllt mit Angst und Terror zu gründen. Er nutzte hierzu die Ausweglosigkeit und Verzweiflung der heutigen Menschheit aus, um ihren Taten Rechtmäßigkeit zu verleihen und um dann, das von der Geschichte befreite Gedächtnis ihrer Adressaten mit ihren eigenen Mustern und Vorstellungen zu füllen.

 

Hierzu mussten Darstellungsweisen genutzt werden, die die wirkungsvollen Aspekte der modernen Kunst in sich trugen und es war die westliche Welt, welche die mediale Fähigkeit besaß neue Identitäten heranzubilden. Der IS übernahm diese Technik und nutzte sie für sich sehr erfolgreich.

 

Für mich als jemand, der zu jener Zeit innerhalb des begrenzten Territoriums des islamischen Kalifats reiste und durch Kontakte und bibliothekarische Forschungen und Feldstudien den Entstehungsgründen und der Essenz dieses Phänomens nachging, ergab sich leider nicht die Gelegenheit gleichzeitig auch die Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Gruppen dieser Erscheinung zu untersuchen. Ich definierte dieses Phänomen direkt am Boden, wobei mir mein begrenzter Kontakt mit speziellen Persönlichkeiten wenigererlaubte, zwischen einigen Sachverhalte einen Zusammenhang außerhalb von handfesten Beobachtungen vorzustellen. Der erste Denkanstoß dieses Phänomen betreffend, erfolgte nach dem Fall der Stadt Mossul und der Stabilisierung des Islamischen Staates in Irak und Syrien durch einen offenen Brief an die westliche Jugend von Ayatollah Khamenei. Für einen Forscher, der sich mit den Fragen in der Region beschäftigte und dachte, dass der eigentliche Adressat die muslimische Jugend ist, hatte dieser neue Adressat für mich seinen ganz eigenen Platz. Der Brief wies direkt auf den IS hin und da ich das Phänomen erforschte,  schien die Lektüre dieses Briefes eine Notwendigkeit zu sein.

 

Vielleicht erscheint hier auf den ersten Blick nur ein Bild von der Vorstellung eines geistlichen und politischen Führers der islamischen Welt über die Fragen und Probleme, von welchen die islamischen Gesellschaften im Gegensatz zum Westen heimgesucht werden. Aber der wichtigste Satz und der wirkungsvollste Aspekt dieses Briefes beleuchtet die Angelegenheit etwas deutlicher: “Zuverlässige historische Belege zeugen eindeutig davon, dass durch die Kreuzung der Kolonialisierung mit einer radikalen verworfenen Denkweise – obendrein die eines Beduinenstammes – die Saat des Extremismus in diese Region gestreut wurde. Wie sonst ist es möglich, dass aus einer der moralischsten religiösen Rechtsschule der Welt, die in ihrem zugrundeliegenden Buch die Tötung eines einzigen Menschen mit der Tötung der gesamten Menschheit gleichstellt, ein Abschaum wie der IS hervorgeht?“

 

Diese Aussage betraf genau die Frage, die mich dazu geführt hatte Forschungen zu unternehmen um Antworten zu finden. In der Tat waren die globalen Probleme mit den Fragen über die Realitäten und Schwierigkeiten in den verschiedenen Jahrhunderten, welche durch Erniedrigung und Unwissenheit in einem Teil der islamischen Welt, aus dem der IS hervorging, miteinander vermischt worden. Dies war ein wesentlicher Ansatz für weitere Forschungen, welche in den folgenden Kapiteln dieses Buches behandelt werden. In diesem Brief gab es zufälligerweise auch weitere unterschiedliche Schlüsselbegriffe, auf die ich während meinen Feldforschungen nicht gestossen war.

 

In diesem Brief ist die Realisierung eines gemeinsamen begrifflichen Verständnisses zwischen der östlichen und westlichen Welt im  Zusammenhang mit dem gemeinsamen Schicksal der gesamten Menschheit, gut zu erkennen und sehr aufschlussreich. Besagen die Worte des Verfassers nicht auch, dass das jetzige Ergebnis nur eine Explosion von Sprengstoff, angehäuft durch die geschichtlichen Fehlschläge der letzten hundert Jahre ist und mit dem Aufkommen des IS, diesem unheilvollen Phänomen, sich nun vollends entlädt?

 

Während ich den Brief las, fand ich versteckte Andeutungen, die mich die Zielgruppe des Briefes vergessen ließen. In dem Brief gab es Inhalte, die den jetzigen Umständen garnicht so nahe kamen, aber auf zukünftige Ereignisse hinwiesen, deren Vorkommen für den Verfasser nicht unwahrscheinlich waren. Zum Beispiel: „Andererseits muss man fragen, wieso sich jemand, der in Europa geboren ist und in der dortigen Umgebung geistig und ideologisch geformt wurde, solchen Gruppierungen anschließt ? Kann man etwa glauben, dass Leute, die ein oder zweimal in ein Kriegsgebiet reisen, plötzlich derart radikalisiert werden, dass sie ihre eigenen Landsleute unter Beschuss nehmen?“ Der Verfasser des Briefes beantwortete selbst die Frage wie folgt: „Vielleicht haben die tiefen Hassgefühle, die in den Jahren des industriellen und wirtschaftlichen Aufschwungs aufgrund von Ungleichheiten und etwaigen gesetzlichen und strukturellen Benachteiligungen in die Herzen von Bevölkerungsgruppen der westlichen Gesellschaften gesät wurden, zu Minderwertigkeitskomplexen geführt, die hin und wieder krankhaft auf diese Weise zum Ausdruck kommen.“

 

Während ich diese Zeilen las, war ich auch bei den letzten Vorbereitungen für den Text meiner Studie, plötzlich entstand bei mir eine neue Frage. Sie betraf die Suche nach der Wurzel des Problems und wer die Hauptverantwortung dafür trägt. Dabei wird sich selbstverständlich der Weg meiner Studien und Feldforschungen in eine umfassendere Richtung bewegen müssen, wenn ich eine Antwort finden will. Eigentlich wollte ich nur eine Forschung über die nomadischen Stämme und die Familiennetzwerke in Irak und Syrien machen. Es sollte lediglich eine Studie über die Zeitgeschichte dieser Region werden, mit Aufmerksamkeit auf die Art der Zusammenhänge zwischen den inhärenten und inneren Entwicklungen dieser Region und ihren politischen und gesellschaftlichen Ereignissen des vergangenen Jahrhunderts. Westasien, dem das internationale System eine völlig neue Form verliehen hatte.

 

Die Haltung der westlichen Länder, vorallem derjenigen, die seit der Kolonialzeit bis zur Besetzung des Iraks fundamentale Veränderungen in der sozialen Struktur und dem gesellschaftlichen System der Region hinterlassen haben, scheint auch ein weiterer Parameter zu sein. Andererseits wurden auch die kulturellen, religiösen, sufistischen und sogar stämmischen Einstellungen als eine sehr bedeutende und potentiell wirkungsvolle Variable dieser Gleichung hinzugefügt. Nun konnte der Prozess der Forschung in eine neue Richtung gehen, doch beim Lesen des Textes erkannte man wie schwer es sein würde, die Wirkung dieser Anzahl von Variablen bei der Aufstellung einer Gleichung, welche die Realität dessen klären könnte, warum sich der IS der modernen Welt aufzwang, festzustellen.

 

Obwohl heute dem IS sein Territorium abhanden kam und dessen aministrative Struktur vernichtet wurde, hatte seine Art und Weise bei der Errichtung seines Kalifats und seine Normen und Verhaltensweisen, die von allem was die Vergangenheit uns gezeigt hatte stark abwichen, seine Spuren hinterlassen. All das besagt, dass man sich durch die Unachtsamkeit bei der kollektiven Verantwortung und durch die Ignoranz gegenüber den Realitäten, welche die Aussenwelt auf die inhärenten Entwicklungen in dieser Region hinterlassen hat, sich auf einen falschen Weg begab, wodurch der ständig wechselnde Werdegang, die unendlichen Anspannungen und die miteinander verflochtenen Krisen alles noch verschlimmerten. Auch der zweite Brief desselben Verfassers, dem jetzigen Führer des Irans, adressiert an die europäische und amerikanische Jugend, welcher über ein Jahr nach der Veröffentlichung des ersten geschrieben wurde, ist auch von großer Bedeutung. Beide Briefe haben eines gemeinsam und zwar die Tatsache, dass bedauerlicherweise die Kenntnisse über den Islam im Westen sehr begrenzt sind. Das ist genau der Punkt, der immer wieder in einigen Medien wie in politischen und nichtpolitischen Äusserungen der Europäer zu Tage tritt: „Gehört der Islam zu den westlichen Ländern oder nicht?“ Neben dieser Frage ist auch die Islamophobie und das verzerrte Bild über die islamische Welt und über die Muslime ein störender Aspekt bei der Bewahrung des kulturellen Austauschs zwischen dem Osten, dem Westen wie Europa und dem Islam. Hier scheint mir der Inhalt der letzten Zeile des ersten Briefes, ein Appell zu sein “ …einer korrekten Kenntnis, tiefer Überlegung und durch Nutzung der Lehren aus unangenehmen Erfahrungen, die Grundlagen für einen gesunden und ehrenhaften Austausch mit der Islamischen Welt zu legen.“Es ertönte ein neuer Klang aus dem Munde eines politischen Führers dieser Region. Eine wahrhafte Botschaft: „dann werdet Ihr in nicht allzu ferner Zukunft sehen, dass das Bauwerk, welches Ihr auf diesem Fundament errichtet habt, einen Schirm der Zuversicht und des Vertrauens über den Häuptern seiner Architekten ausbreitet, ihnen wärmende Sicherheit und Ruhe spendet und das Licht der Hoffnung auf eine leuchtende Zukunft in der Welt ausbreitet.“

 

Diese Worte bedeuten für mich, dass heute beide Seiten der Weltgemeinschaft, die östliche, basierend auf Wissen und Spiritualität und andererseits der auf Ratio und Überlegung ruhende Westen sich notwendigerweise im Hinblick auf eine gemeinsame Zukunft genähert haben.

 

Bei all den Problemen, die der „IS“ der Welt bereitete, hatte er auch starke Auswirkungen auf das Verständnis der Menschen im Osten wie im Westen und zwar demgemäß, dass angesichts eines gemeinsamen Schicksals der Menschheit nun deutlich wurde, dass die Verbreitung dieses diabolischen und boshaften Phänomens unbedingt verhindert werden muss, gleichzeitig sollten aber auch neue Diskurse über den Islam angeregt und die Kenntnisse über diese Religion wesentlich erweitert und aktualisiert werden. Um diesen Weg zu begradigen müssen die Grenzen präzise und deutlich definiert und mit vorurteilsfreien und wissenschaftlichen sowie authentischen Informationen unparteiisch und frei von persönlicher Bevorzugung versehen werden, damit dann ein Rahmen durch gemeinsame Überlegung gebildet werden kann.

 

Dieses Buch soll eine Antwort geben und ein realistisches Bild von den Umständen zeigen, welche das Aufkommen des IS erklärt. Der IS ist, wie auch im Nachhinein vorgestellt wird, eine Kombination von religiösen, kulturellen, ethnischen und politischen Haltungen sowie den geopolitischen Interessen der regionalen wie überregionalen Mächte. Er propagiert im Gewand des Islams eine Wiederbelebung des Kalifats, um dadurch eine maximale Anzahl von Sympathisanten anzuwerben, worin er auch sehr erfolgreich war. Er konnte außerhalb den Vorstellungen der Weltgemeinschaft und ohne ethnische, sprachliche, kulturelle und identitätsbezogene Faktoren zu berücksichtigen die unterschiedlichsten jugendlichen Gruppen aus sowohl dem Westen als auch dem Osten von ihrer Ideologie überzeugen und rekrutieren. Mit der Anwendung von völlig unmenschlichen aber modernen doch für die heutigen Verhältnisse befremdlichen Methoden, konnte er  administrative Strukturen bilden und ein politisches Territorium errichten, wobei ihr größter Beistand der zwischen dem Osten und Westen herrschende Wissensmangel war. Nur dadurch konnten sie zuerst große Erfolge erzielen.

 

Das Phänomen Boko Haram in Nigerien, welches sich an dem Muster des IS orientiert gehört ebenfalls zu den Beispielen, die uns zeigen, dass für diese unmenschliche Katastrophe (IS) eine sofortige Lösung, welche nicht auf eine bestimmte Religion oder auf einen bestimmten geografischen Bereich begrenzt ist, gefunden und schnellstmöglichst aktiv werden muss, damit die Entstehung von ähnlichen neuen IS- Strömungen verhindert werden kann. Es wäre dabei sehr von Vorteil, wenn neben der Steigerung der Kenntnisse auch der wissenschaftsbegründete Informationsaustausch zwischen den Eliten und den Denkern westlicher sowie östlicher Gesellschaften verstärkt und das Fundament für einen Überlegungsprozess dieser Problematik verschafft wird, damit eine effektive kulturelle und gesellschaftliche Lösung für diese Krise ersonnen werden kann. Man sollte auf keinen Fall der inkorrekten Annahme zum Opfer fallen, dass der IS einer bestimmten Welt und einer bestimmten Geografie angehört. Er präsentiert seine Kriterien und Wertevorstellung in absolut globaler Dimension. Er ist eine fortgeschrittene Version des Vandalismus der vergangenen Jahrzehnte und konnte in brutalster und grausamster Weise, unter Ausnutzung religiöser Symbole der islamischen Welt ein Territorium für sich gewinnen und mit einer erfundenen geschichtlichen Vergangenheit ein neues System erschaffen.

 

Der Glaube daran, dass der IS potenziell rekonstruierbar ist, wird uns in die Richtung bringen einen gemeinsamen Dialog zu führen und zu objektiveren und realitätsnahen Kenntnissen über den Islam zu gelangen.

 

Sayyid Ali Moujani

Berlin- März 2018

 

 

 

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